Occupy Government: Kenias junge Generation rebelliert gegen Schulden und Korruption

Hintergrund

In Kenia überschlagen sich die Ereignisse: Nach Protesten gegen neue Steuern lenkt Präsident Ruto ein, bietet Dialog an und zieht das umstrittene Haushaltsgesetz zurück. Wird das die Proteste gegen seine Politik stoppen?

Drei Menschen mit Halstüchern halten ein Schild mit der Aufschrift "Half One Term President. Enough is Enough Zakayo #RejectFinanceBill2024". Sie stehen auf einem Gehweg in Nairobi, Kenya.
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Jugendliche protestieren in Nairobi gegen Steuererhöhungen, trotz massiver Polizeipräsenz und Straßensperren.

Durch die öffentliche Ankündigung von Präsident William Ruto am Abend des 26.6.2024 hat Kenias Protestbewegung zunächst einen Sieg errungen. Die Politik ist auf die Forderung der Demonstrant*innen vorerst eingegangen. In den nächsten Tagen wird sich zeigen, ob dies reicht, um der Ablehnung von Rutos Politik entgegen zu wirken. Seit Tagen protestieren Millionen von Menschen der Generation Z – oder GenZee - auf den Straßen der Hauptstadt Nairobi und in anderen Landesteilen gegen Präsident William Ruto und sein Haushaltsgesetz, die sogenannte Finance Bill 2024. Beteiligt sind junge, größtenteils zwischen 1995 und 2010 geborene Menschen aus allen sozialen Schichten. Manche von ihnen gehen dafür endlose Kilometer zu Fuß, weil sie die 80 Schilling (60 Cent) für das Busticket nicht haben. Andere halten in Anzug und Krawatte Protestplakate hoch. 

Es gibt Parallelen zu den ersten Tagen des arabischen Frühlings. Die Mobilisierung läuft über Twitter (X), Tiktok und andere Social-Media-Kanäle. Statt programmatischer Manifeste werden Kurzvideos, digitale Plakate mit den Parolen des Tages, Informationen zum Dresscode und Verhaltensweisen geteilt. Einige bekannte Aktivist*innen aus der Demokratie- und Menschenrechtsszene mit vielen Followern stehen kurz im Vordergrund und tauchen wieder unter. Ein ehemaliger Vorsitzender des Verfassungsgerichts – der erste, seit Kenia sich 2010 eine progressive Verfassung gegeben hat – bietet verhafteten Demonstrant*innen Rechtsbeistand in Polizeistationen an. Zehn- oder gar Hunderttausende junge Menschen stehen massiven Polizeiaufgeboten mit entschlossener Verzweiflung gegenüber. Zahlreiche ikonische Fotos und Kurzvideos kursieren im Internet: Wir sind hier, weil wir keine Wahl haben. 

Polizei erschießt mehrere Demonstrant*innen

Seit Jahren gibt es Vorwürfe gegen Kenias Polizei, brutale und ungesetzliche Methoden einzusetzen. Bei Demonstrationen und Protesten setzt sie immer wieder Schusswaffen ein. Dennoch verliefen die Demonstrationen anfangs größtenteils friedlich. 

Am 21.6. aber kam es zum ersten Toten. Vier Tage später eskalierte die Situation: Nachdem das Parlament in einer Eilsitzung das Haushaltsgesetz 2024 durchgewunken hatte, überrannte eine Menschenmenge die Polizeikräfte, drang in das Parlament ein, zwang die Abgeordneten durch Sicherheitstunnel in ein benachbartes Gebäude zu fliehen und setzte einen Teil der Parlamentsbüros in Flammen. Die Polizei eröffnete das Feuer, mehrere Demonstrant*innen starben. Jene Videos von Parlamentsbesetzer*innen, die sich spontan in der Kantine am Essen der Abgeordneten bedienten, haben einen hohen Symbolwert: Während sich ein großer Teil der Bevölkerung immer weniger Nahrungsmittel leisten kann, wird im Parlament aufgefahren. 

Worum genau geht es? Mit dem neuen Haushaltsgesetz versucht die Regierung von Präsident Ruto, mithilfe zahlreicher neuer Steuern, die staatlichen Einnahmen drastisch zu erhöhen. Noch Anfang 2024 wurde ein Default, eine Zahlungsunfähigkeit Kenias auf dem internationalen Schuldenmarkt, für möglich gehalten. 

Schuldensenkung mit dem Brecheisen

Ruto hat die Senkung der Staatsverschuldung von über 73 Prozent des Bruttoinlandprodukts zum Regierungsprogramm gemacht. Doch die immer neuen Abgaben bürdet er einer sowieso schon unter den enormen Preissteigerungen der letzten Jahre leidenden auf. Sogar Brot sollte mit 16 Prozent besteuert werden. Unter den Vorgängerregierungen, an denen Ruto immerhin als Vizepräsident beteiligt war, hatte sich die Verschuldung fast verdoppelt. Viele der Gelder sind in die Finanzierung von riesigen Infrastrukturprojekten geflossen, ohne jedoch die versprochenen Jobs zu schaffen. 

In der öffentlichen Wahrnehmung sind die politischen Eliten mit ihren wirtschaftlichen Partikularinteressen verantwortlich für die hohe Verschuldung. Die globalen Marktverwerfungen nach Beginn des Ukraine-Kriegs sowie die steigenden Kosten für Kreditfinanzierungen haben das Problem potenziert. 

Ruto folgt mit seiner Haushaltspolitik den Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds (IWF). In den vergangenen Jahren, so der IWF, sei Kenias Steueraufkommen stetig gefallen und liege weit hinter entsprechenden Statistiken andere Länder in der Region. Dies sollte sich nun ändern. Dabei konzentriert sich die Regierungspolitik nicht darauf, das Haushaltsproblem von der Ausgabenseite anzugehen. In den Augen der jungen Demonstranten bereichert sich die politische Elite in bisher nicht bekanntem Ausmaß. Privatjets und der luxuriöse Lebensstil der politischen Klasse sind die sichtbaren Zeichen einer ausufernden Korruption. Der Korruptionsindex von Transparency International führt Kenia auf Platz 126 von 180 Ländern. 

Aufbegehren der Jungen in einem politischen Vakuum

Bereits vor einem Jahr führte das erste Haushaltsgesetz der Regierung Rutos zu wochenlangen Protesten mit über 150 Toten. Im Unterschied zu heute gelang es der politischen Opposition um den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Raila Odinga, den Widerstand gegen das Gesetz zu kanalisieren und als Verhandlungsmasse in einen nicht öffentlichen politischen Dialog mit Rutos Koalition einzubringen. Das aber blieb ergebnislos. Die oppositionelle Azimio-Koalition unter Raila Odinga ist politisch neutralisiert, hat keine Alternative zu der Steuerpolitik vorgeschlagen und spielt bei den gegenwärtigen Protesten keine Rolle. 

In diesem politischen Vakuum organisiert sich die Rebellion der GenZee. Sie attestiert der politischen Elite komplettes Unverständnis ihrer sozialen Realität. Als junge Generation sträubt sie sich, langfristig die Schuldenlast abtragen zu müssen, ohne dass von Regierungsseite Reformen zur Eindämmung von Korruption erkennbar wären. Zudem tritt bei den Protesten zunehmend die Kritik an Ruto direkt in den Vordergrund, den die Demonstrant*innen in Anlehnung an einen biblischen Steuereintreiber Zakayo nennen und als autoritär und diktatorisch bezeichnen. 

Die Regierung scheut den Dialog

In der Tat hat Rutos Regierung zwar in den vergangenen Monaten wiederholt darauf hingewiesen, dass weitere Steuererhöhungen nötig seien. Einen gesellschaftlichen Dialog hat er dazu aber nicht gesucht. Weder gab es eine größere Debatte über den Umgang mit Schulden noch über eine gerechtere Verteilung der Steuerlasten und die Rolle der internationalen Finanzinstitutionen. Im Gegenteil: Statt eine kritische Überprüfung des Haushalts in Aussicht zu stellen, hat Rutos Regierungskoalition das Gesetz nun unter Druck in Rekordzeit verabschiedet. 

In seiner kurzen Rede nach dem Sturm auf das Parlament bezeichnete der Präsident Protestant*innen als Kriminelle und Landesverräter. Verteidigungsminister Duale ordnete am gleichen Abend den Einsatz des Militärs zur Verteidigung staatlicher Institutionen an. Die verfassungsmäßig notwendige Zustimmung des Parlaments folgte erst am nächsten Tag, wiederum in einer hastig einberufenen Eilsitzung. 

Ruto setzt viel aufs Spiel

Die Krise um das Haushaltsgesetz hat sich also zu einer fundamentalen Auseinandersetzung der jungen Generation Kenias mit der politischen Elite über Regierungsführung, Verfassung und Menschenrechte entwickelt. Für Präsident Ruto könnte dies weitere Folgen haben. Er hat sich selbst und Kenia international als Partner des Westens profiliert: Am Tag des Sturms auf das Parlament reiste das erste Kontingent kenianischer Sicherheitskräfte nach Haiti ab, um die internationale Polizeimission zur Stabilisierung Haitis zu leiten. Ende Mai erklärt US Präsident Biden Kenia zu einem Hauptverbündeten der USA. Mit seinem jetzigen Kurs aber setzt Ruto diese Positionierung Kenias aufs Spiel.